So werden Top-down-Anweisungen schrittweise durch autonomes Arbeiten abgelöst
Der Vorstandschef der größten britischen Bausparkasse Nationwide, Joe Garner, traut sich als erster weit aus der Deckung. „Arbeitet irgendwo“ ruft er all den Büroangestellten zu, die nicht gerade in eine Filiale zum Kundentermin kommen müssen. Seine sogenannte work anywhere policy fußt auf einer betriebsinternen Umfrage, nach der 57% von 8.500 Mitarbeitern für dauerhaftes Home-Office stimmten und nur 6% für tägliches Arbeiten im Unternehmensbüro. Garner selbst plant für sich 1 bis 2 Tage Home-Office je Woche, um seinen Mitarbeitern die Sicherheit zu geben, dass Home Office ihrer Karriere nicht schaden wird. Der Vorstand der leitenden britischen Hypothekenbank folgt also der Abstimmung und Autonomie seiner Mitarbeiter und richtet sich vollständig nach ihren Bedürfnissen, wenn auch er selbst für seinen eigenen Arbeitstag offenbar andere Präferenzen hätte.
Zur selben Zeit beschreibt David Solomon, Vorstandsvorsitzender von Goldman Sachs, das Zu-Hause-Arbeiten als eine Verirrung, die er so schnell wie möglich korrigieren werde. Er verkörpert mit dieser Äußerung die alte Top-down-Welt, in der sämtliche Mitarbeiter zur selben Minute in das Firmengebäude strömen. Deutschlands Vordenker und meistgelesener Managementautor Reinhard Sprenger prägte hierfür bereits vor 21 Jahren den entlarvenden Begriff Firmensoldatentum. Zu Solomons Äußerungen passt leider wie die Faust auf‘s Auge, dass im März Beschwerden junger Angestellter von Goldman Sachs über inhumane und herabwürdigende Arbeitsbedingungen publik wurden. Die Jungbanker wünschten sich außerdem die Arbeitszeitbegrenzung einer 80-Stunden-Woche.
In Sachen Home-Office, präziser gesagt Telearbeit, gibt es keine gültige Einheitsregelung, die auf alle Organisationen passt. Entscheidend ist erstens, was die Unternehmenskunden wünschen, und zweitens, was zu den Mitarbeitern auf allen Rängen individuell und persönlich am besten passt. Als entscheidende Herausforderung bleibt dann, wie der Flurfunk und der soziale Kontakt beibehalten und weiterentwickelt werden können. Deswegen empfehlen wir AblaufLotsen die reine Home-Office-Regelung nicht. So oder so, dogmatisches Festhalten und Verharren sind die Sackgasse zurück in die Vergangenheit. Reflexionsfähigkeit und Mut zur Umsetzung, Joe Garner macht es uns vor, sind das Hier, das Jetzt, die Zukunft.
Der seit der Aufklärung überfällige Vormarsch der Autonomie in der Arbeitswelt ist heute zum Beispiel in der Verbreitung von Ansätzen wie der New Work Charta oder den 12 Prinzipien hinter dem Agilen Manifest sichtbar. Dabei geht es nicht darum, Chaos oder Anarchie in Unternehmen zu bringen und auf magischen Wandel zu hoffen. Vielmehr sorgen Agilität oder New Work dafür, dass alle Mitarbeiter „rangunabhängig“ wahrgenommen und wertgeschätzt werden, und dass sich ausnahmslos jeder mit größtmöglicher Selbstbestimmung und Gestaltungsfähigkeit in die Arbeit stürzen darf, der das möchte. Vor allem werteorientierte Familienunternehmen zeigen schon in ihren menschlichen Umgangsformen, dass sie diese Reise in neue, flexible Organisationsformen neugierig angetreten haben.
Was können Sie, lieber Leser, tun, um autonomeres produktiveres Arbeiten im Betrieb zu fördern? Sie können
- Rangsymbole und hierarchische Privilegien abräumen
- Flexible Arbeitszeiten selber praktizieren, genau wie Joe Garner
- Kritische und kreative Diskussionen in Besprechungen entfachen
- Die heimlichen Spielregeln im Unternehmen offenlegen, würdigen und zur Reflektion und Diskussion freigeben
- Ein Projekt, eine Abteilung oder einen Prozess bewusst agil aufsetzen
- Häufiger und öfter die interessierte, zugewandte Frage stellen: „Wie geht es Ihnen, wie läuft denn die Arbeit wirklich?“
Joe Garner begründet die Arbeite-irgendwo-Regelung bei Nationwide übrigens so: „Hinweise zeigen bislang, dass du durch größere Flexibilität bessere Ergebnisse, Produktivität und Wohlbefinden bekommst. Aber wenn Organisationen das möglich machen wollen, muss sich die Führungsmannschaft genauso verhalten“.