Wissen Sie, bei welchen Unternehmern ich als Prozessoptimierer garantiert nicht lande? Bei denen, denen die Prozessoptimierung am meisten Entlastung und Effizienz brächte. Zum Beispiel die Komplexitätsgläubigen, die sich ungefähr so anhören: „Unsere Abläufe und Prozesse sind so komplex, weil unsere Kunden es verlangen. Deshalb geht bei uns Komplexität vor Prozessoptimierung, wir können unsere Prozesse gar nicht standardisieren und optimieren.“
Gemäß dieser Logik „Je komplexer, desto kundenfreundlicher“ ist der Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn ein Prachtexemplar an Kundenorientierung. Ist er aber nicht. Er ist einfach nur kompliziert. Eine Kostprobe: Als BahnCard-Inhaber ist ein DB-Ticket für den Intercity auf derselben Strecke manchmal günstiger als ein Regionalverbunds-Ticket (Bsp. RMV) für den Regional-Express. Wer soll das verstehen? Und am schlimmsten finde ich, wenn dann noch sogenannte Experten mir erklären wollen, warum das für mich als Kunden so toll ist, und dass ich „eigentlich“ davon profitiere.
Dabei ist es genau umgekehrt, wie z.B. all die Apps zeigen, die wir täglich oder wöchentlich benutzen: Waze, Amazon, Google Maps, DB Navigator, WhatsApp, die F.A.Z. … Sie sind in ihrer Geradlinigkeit, Schlichtheit, Einfachheit wahrhaft kundenorientiert, weil jeder Kunde hier in kürzester Zeit sein gewünschtes Produkt erhält. Intuitiver Nutzen pur. Und sie sind zu 100% standardisiert, weil Standardabfolgen die Voraussetzung für Programmierbarkeit und Digitalisierung sind.
Komplexität wirkt in den Prozessen als Bremse von Kundenorientierung und Effizienz. Die „Zeitschrift für Führung und Organisation“, Ausgabe 4/2019, belegt dies mit der Studie: Durch Simplifizierung den digitalen Wandel vorantreiben.
Komplexität können wir uns für unsere Produkte und Dienstleistungen aufheben, denn in der Wertschöpfung differenzieren wir uns am sinnvollsten.
Prozesse und Abläufe hingegen sind am besten einfach gut. Ihre Kunden werden es Ihnen danken, und Ihr Betriebsergebnis erst recht.
So vereinfachen Sie einen Prozess und entwirren Komplexität:
- Vereinbaren Sie, welche Personen die Simplifizierung anstoßen und umsetzen sollen. Am wirksamsten ist ein gut gemischtes Team aus Mitarbeitern, ohne Führungskräfte und mit einem neutralen starken Projektleiter. Die ständige Abstimmung mit Führungskräften und Geschäftsführung ist Aufgabe des Projektleiters.
- Finden Sie die verschlimmbessernden Muster in Ihren Prozessen, die Komplexitätstreiber. Was genau ist es, was eine eigentlich übersichtliche Sache so kompliziert macht? Ist ein Detektivspiel, aber bringt garantiert Aha-Erlebnisse. Fragen Sie die operativen Mitarbeiter vor Ort, denn sie sehen und spüren unnötige Prozesskomplexität tagtäglich, viel unmittelbarer als Führungskräfte.
- Finden Sie den gemeinsamen Nenner der verschiedenen Komplexitätstreiber. Meist gibt es eine oder maximal zwei zugrunde liegende Ursachen.
- Freuen Sie sich über die gewonnen Erkenntnisse, denn jetzt wissen Sie, wo Sie anpacken und entwirren können.
- Geben Sie den Akteuren jetzt Freiraum, rigoros einfachere Prozessvarianten zu erfinden und auszuprobieren. Hier ist spinnen ausdrücklich gewünscht. Legen Sie die Ziellatte (Qualität, Kosten, Zeit) hoch, um wirklich neue Wege denken zu dürfen. Auch hier wieder unbedingt die operativen Mitarbeiter vor Ort einbinden, die haben meistens die besten Ideen.
- Entscheiden Sie, welchen einfacheren Weg der Prozess in Zukunft nehmen soll, und setzten Sie den Wandel mit aller Konsequenz durch.
- Wenn Sie mögen, installieren Sie bei dieser Gelegenheit einen Kontinuierlichen Verbesserungsprozess KVP, der aus diesem einmaligen Projekt wöchentliche Übung macht.
- Und wie bei jedem Projekt gilt: Führen Sie am Ende eine Abschlussbesprechung durch und halten Sie die Erkenntnisse aus dem Projekt, neuhochdeutsch „lessons learnt“, fest. Denn die nächste Prozessentwirrung kommt bestimmt.